Kleindenkmale 2. Bildstöcke, Ikonen

Die Marienklage im Fleuther Kapellchen Vichter Straße/Fleuth

Logo Jakobsweg50.7502681, 6.2756878; Q72G+474 Stolberg

An der Vichter Straße "steht", so schrieb 1930 der Mausbacher Pfarrer und Chronist Arnold Ortmanns (1868-1938) aus offenbar eigener, sachkundiger Anschauung, "ein Kapellchen aus dem 17. Jahrhundert und enthält ein 60 Zentimeter hohes, gutes Barockbild der Schmerzhaften Mutter aus Holz geschnitzt". Ortmanns vermutete die Errichtung "zweifellos in den Schrecken des 30jährigen Krieges".1 Der Mausbacher Volksmaler August Fräntz hat daraus das Datum "1637" entstehen lassen.2

1637 ist ein Narrativ geworden. Allerdings wurde das Fleuther Kapellchen – eher ein erweiterter Bildstock als eine Kapelle – auch im 20. Jh. vor allem in Kriegszeiten von Gläubigen aufgesucht, was als kollektives Gedächtnis die Errichtung im Dreißigjährigen Krieg plausibel erscheinen lässt. Zunächst vielleicht als Tabernakel, wie die Konche mit der Marienklage vermuten lassen könnte.

Es ist heute noch gut frequentiert, wovon diverse neue Votivgaben zeugen, und insbesondere in der Corona-Pandemie 2020 bis 2023 ist es eine Anlaufstation für Gläubige gewesen. Über das Kapellchen besteht auch seit Jahrzehnten eine Patenschaft, die in unbestimmter Folge von örtlich ansässigen Familien übernommen wird.

Schmerzensmutter

Die hölzerne Pièta gibt es nicht mehr. An ihrer Statt steht die hier abgebildete, neu bemalte bzw. im Farbanstrich aufgefrischte Pièta aus Ton, Umfang max. 80 cm, Höhe rund 53 cm. Im Vergleich von außen und innen ist der Ton anscheinend in ein Modell verfüllt worden. Auffällig die unproportionierten Hände und Füße (am Leichnam auch zueinander). In der Dornenkrone sind 2.5 bis 3.5 mm starke Drahtstifte zu sehen, offenbar verzinkt oder aus Zink, jedenfalls maschinell gezogen (evtl. Stacheldraht ?). Unter den Passionswerkzeugen auf dem grünen Grund (v. re.: Zange / Hammer / Nagel, vier verstreute Spielwürfel W6, Schlägel (Knochen) und Speer gekreuzt), fällt der Würfel mit den drei Augen auf: Diese sind in Form eines Delta angeordnet. Auf der Rückseite der Figurengruppe unten eine eingeprägte Marke: "J [?] · B", rechts daneben schwarz geschrieben "W. VAßEN".

Mit Sicherheit nachträglich ist der Maria die 4 cm hohe Lilienkrone aus versilbertem Messingblech im Durchmesser von 6 cm und von 1 mm Stärke, besetzt mit mantelgefassten Glassteinen im Brilliantschliff in Imitation von Rubin und Aquamarin, aufgesetzt worden. Sie bedeckt die rechts abgeplatzte, originale einfachzackige, halb so hohe und goldfarbene Krone. Es fehlen zwei Lilien, andere sind gelötet, eines der roten Glassteinchen ist herausgefallen.

Die Skulptur ruht aufgrund eigener Schwere auf einem rund 14 cm hohen, 28.8 cm breiten und 21.5 cm tiefen Sockel mit Tischlerplatte im Boden. Sie wird elektrisch illuminiert. Dazu sind Fassungen für im Ende des 20. Jh.s handelsübliche Christbaumkerzen oben auf dem Sockel aufgeschraubt.

Provenienz

Wann und warum die Marienklage ersetzt worden ist, lässt sich bis heute nicht klar nachvollziehen. Nach der Erinnerung von Willi Beissel (*1934), der unweit des Kapellchen gelebt hat, ist dasselbe im Zweiten Weltkrieg unbeschädigt und darüber hinaus unverändert geblieben.3 Demnach wäre die Pièta zwischen 1930 und 1939 (1944?) ersetzt worden.

Auch konnte der Töpferstempel "J [?] · B" noch nicht zugeordnet werden. Die erste Initiale ist nicht klar erkennbar: nächstliegend "J" oder "I", vielleicht "H". Evtl. war ein Töpfer aus Langerwehe am Werk. 1870 trat Jacob Bruing als Langerweher "Töpfe-Fabrikant" dem "Langerweher Töpfer-Verein e.G." bei.4 Tönernde Devotionalien aus Langerwehe sind für das 20. Jh. etwa ab den 1920ern bei der Fa. Kuckartz und Rennertz beschrieben.5 Solcherweise, so heißt es aus der Töpferei im Langerweher Töpfermuseum, seien Gipsmodelle aus Köln verwendet worden.6 — Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit in den unproportionierten Extremitäten hier mit einer Hausmaria in Büsbach.

W. Vaßen war ein Bauer auf der Fleuth.7 Vielleicht ist er der Stifter der tönernen Pièta gewesen.

Mithin mag es sich bei der heute zu sehenden Marienklage um Kunstgewerbe handeln, vorerst und vorsichtig eingeschätzt 19./20. Jh.

1Arnold Ortmanns (ND 2002): Die Geschichte der Pfarre Mausbach. 2. Aufl. des Nachdrucks der Ausg. von Allerheiligen 1930 in der Stolberger Zeitungs- und Akzidenz-Druckerei B. Linzen. Arbeitskreis Geschichte Mausbach. S. 49.

2Eine Quelle, die das Entstehungsjahr 1637 nahelegen könnte, ist nicht bekannt. Willi Beissel (*1938) aus Mausbach hat im September 2024 in einer mündl. Mitteilung an H. v. Laufenberg angegeben: Fräntz habe ihm gegenüber geäußert, er, Fräntz, habe das Jahr 1637 aus künstlerischer Freiheit angenommen.

3Willi Beissel (Sept. 2024): Mündl. mitteilung an Haro v. Laufenberg.

4Unterzeichnete Satzung des Langerweher Töpfervereins von 1870, abgedruckt in: Josef Schwarz, Burchhard Sielmann (1984): Das Langerweher Töpfergewerbe in der Vergangenheit. Überarb. ND aus der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Jg. 1937 (Bd. 58, S. 1-56). S. 56-64, 64.

5Josef Schwarz, Burchhard Sielmann (1984) aaO. S. 46.

6Lothar Kurtz, mündl. Mitteilg. an H. v. Laufenberg, 1.12.2024.

7Willi Beissel (Sept. 2024): Mündl. mitteilung an Haro v. Laufenberg.

Pièta im Fleuther Kapellchen und dasselbe im Oktober 2024

Hausmadonna im AGM-Magazin, ursprünglich Im Winkel

Seit dem Spätmittelalter und teils bis in das 20. Jh. hinein war es Brauch, das Haus, seine Bewohner und deren Gäste unter den Schutz von Heiligen zu stellen, insbesondere unter den der Gottesmutter Maria, die seit dem 13. Jh. besondere Verehrung genoss. Ausgedrückt wurde dies mit in der Regel vollplastischen Figuren aus Stein oder Holz, die in der Hausfassade, für gewöhnlich an Ecken und oft in Nischen über Tor und Tür eingelassen waren. Dabei konnten Spruchbänder die Figuren begleiten, etwa wie "Maria schütze dieses Haus / und die da gehen ein und aus".

Eine Blüte erlebte dieser Brauch mit der Gegenreformation, wonach sakrale Hausfiguren nicht nur schützen sollten, sondern auch die katholische Gesinnung postulierten. Dementsprechend verbreitet sind diese von Köln nach Südost im Rhein-Main-Gebiet und in Süddeutschland. In Aachen wurden sie 1798, so nach dem Tagebuch 1772-1799 des Gilles-Leonard von Thimus-Goudenrath, auf Anordnung der französischen Regierung entfernt.

Gleichwohl erhielt der Brauch im 18. und 19. Jahrhundert neuen Impuls. Dies nicht zuletzt im Kulturkampf in Preußen 1870 - 1884/7, dem Konflikt zwischen Staat und Kirche, als trotziges Postulat katholizistischen Bekenntnisses. In dieser Zeit fanden Herz-Jesu-Figuren weite Verbreitung.

Im abteifrommen Münsterländchen lebt dieser Brauch heute noch. Die Grenze zum historisch weitaus glaubensreformfreudigeren Herzogtum Jülich verlief zwischen den Dörfern der ehemaligen Gemeinde Gressenich, und hier in der "Corneliusgemeinde", also nach dem Schutzheiligen solcher des Münsterländchens, überwiegt unter den Plastiken das Marienabbild, "Hausmadonna" oder "Hausmaria" genannt, aus dem Bilderschatz der Marienverehrung.

Der hiesige Volksmund nennt die in den Hausfassaden eingelassenen Nischen mit den sakralen Hausfiguren "Kapellche", Diminutiv von "Kapelle".

Aufgrund der Bestandsdichte an älteren Häusern hier hat vor allem die Lebendigkeit des Brauchs Bedeutung. Dies zeigt sich in offensichtlichen Ersetzungen als auch, dass, wie in Werth (Dorfstraße), einst zugemauerte Nischen wieder geöffnet worden sind, oder wie in Mausbach (Dechant-Brock-Straße) das "Kapellche" auf einer Fassade angebracht anstatt in dieselbe eingelassen wurde. Der Stil der Ersetzungen ist denn auch nicht unbedingt regionstypisch oder historisch begründet: in Werth steht eine bei Dunkelheit beleuchtete "Immaculata" als Neuware (1990er) aus Altötting in Bayern, in Mausbach eine "Schutzmantelmadonna" vom Flohmarkt (erworben 1990er, mit Sicherheit älter) und mithin unbekannter Provenienz. Aber doch sind es Marienfiguren.

Die hier abgebildete Hausmadonna steht heute im Magazin des AGM (Inventar Nr. AGM-173-308162). Ursprünglich stand sie im "Kapellche" an einem Haus Im Winkel in Mausbach hinter Glas. Es ist eine "Mutter mit Kind" (Maria regina mit dem Salvator mundi) in einem klassizistisch-romantischen (nazarenischen) Stil, die Gottesmutter brünett, das Jesuskind blond, beide mit blauen Augen. Das Kreuz auf dem Globus cruciger ist abgegangen. Die Figurengruppe ist ca. 31.8 cm hoch, misst max. 11.1 cm im Durchmesser und ist ca. 1.2 kg schwer. Es ist Fayence und der weiße Scherben mit einigen Eisenflecken und zahlreichen Luftblasen in der Zinnoxid-Glasur (Löcher mit silbrig glänzenden Rändern), ohne Stempel/Marke, wenig ausgearbeiteten Gliedern, teils wenig genauer Bemalung, sodass – nach dem Wiederaufblühen der Fayence um die Wende vom 19. zum 20. Jh. bis 1920 – von einer kunstgewerblichen Massenware um 1900 ausgegangen werden dürfte.

Vera Blazek [Věra Blažková], Betty Dahmen et al. (2014): Hauszeichen und Haussymbole in Aachen. Prag u. Aachen: Libri Aquenses.

Zum Wandschmuck der Zeit vom Ende des 19. bis in den Anfang des 20. Jh.s cf.
Sabine Thomas-Ziegler (1992): Röhrender Hirsch und betende Hände; Bildmotive und Funktion des populären Wandschmucks. Köln: Rheinland-Verl.

Hausmaria, Inv.-Nr. AGM-173-308162. Fayence ca. 20. Jh.

Foto: Herbert Reimer (2024)

Museumskatalog