Mausbacher Klapperjungen Ein Lärmbrauch in der Karwoche

Der Aufsatz beschreibt den Brauch der "Klapperjungen" im Rheinland und speziell in Mausbach (Stadt Stolberg/Rhld.), Art und Verwendung von Klappern in Liturgie und Brauch und den Ursprung des Brauchs, dem auch eine antijüdische Interpretation hinterlegt ist.

Brauchtum

Nach katholischer Tradition schweigen die Kirchenglocken nach dem Gloria der Gründonnerstagsmesse bis zur Osternacht als Ausdruck der Trauer um die Passion Christi. Dem Volksmund nach, und so erzählte man den Kindern, flögen die Glocken zum Papst nach Rom, um von diesem für die Auferstehungsfeier gesegnet zu derselben zurückzukehren.

In vielen katholischen Gegenden und so auch seit Jahrhunderten im Rheinland war es Brauch, dass an den Kartagen zu den Zeiten des An­ge­lus­läu­tens1, gewöhnlich um 6, 12 und 18 Uhr, Gruppen von Jungen mit hölzernen Rasseln und Klappern lärmend durch den Ort gingen und das Schweigen der Glocken solchermaßen ersetzten. Danach die Bezeichnung "Klapperjungen". Jungen, weil es ursprünglich die Messdiener waren, die "klapperten", denn das Angelusläuten ist ja nun Sache der Kirche. Nach der Liturgiereform 1965 durften dann auch Mädchen "klappern" – im Allgemeinen, in Mausbach nicht2.

In Mausbach durften es nach Erinnerung von Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts nur die Jungen, die noch nicht die erste Kommunion, also die Aufnahme in die heilige Gemeinschaft, empfangen hatten. Dies evtl. eine Reminiszenz an die noch im 19. Jahrhundert übliche Osterspende an den Pfarrer für jeden der Kommunikanten, denn die Kinder heischten um Eier und Geld. Indes zogen die Messdiener in Mausbach wohl nebenher durch den Ort und Spenden für Küster, Organist und sich selber ein.3

Während dieser Lärmbrauch mancherorts im Rheinland noch lebendig ist, in Linz a.Rh. etwa wird er hochgehalten, ist er in Mausbach untergegangen. Nach einer Darstellung sei er "mit Einführung der neuen Karwochen-Liturgie [...] fast ganz verschwunden"4, nach einer anderen wurde er noch 1998 gepflegt5. In beiden Fällen wird nicht ganz klar, was an Datierung gemeint ist. In dem einen könnte mit "Karwochenliturgie" die Reform 1956 gemeint sein. In dem anderen handelt es sich um die zweite Auflage einer Heimatliteratur, in der es "bis heute" heißt, wobei nicht deutlich wird, auf welches Erscheinungsdatum sich dies bezieht, das der ersten oder das der zweiten Auflage. Nach Fotos an der Bildstelle des AGM hat es den Brauch in Mausbach bis Ende der 1970er Jahre gegeben.

Klappern

Klappern, crotala, ähnlich der Kastagnetten werden nach dem Gloria an Gründonnerstag bis zum Gloria an Karsamstag von den Messdienern im Kirchraum verwendet. Sie ersetzen als Zeichen der Trauer die hell schellenden Ministrantenglöckchen und es sind nur zwei und die klacken eher leise.6 Die der Klapperjungen sind gebastelte Kracherzeuger, wofür Holz der angezeigte Werkstoff war und ist, und das können Ratschen, Rasseln oder Knarren sein und werden vergleichsweise en masse eingesetzt. Die übliche Klapper ist ein etwa ½ Meter langer Holzkasten, in dem über eine Walze Hammer bewegt werden, die in dem Schallkörper für gehörigen Krach sorgen.7

Video Flipp-Flapp-Klapper

Flipp-Flapp in Aktion

Video: Herbert Reimer

In Mausbach kam die von A. Wrede 1960 als "'Flipp-Flapp' für Anfänger"8 beschriebene Klapper vor. Diese erinnert an einen Quast mit einem anstelle der Borsten nach zwei Seiten frei schwingendem Hammer.

Die Kleinsten werden vielleicht einfach losgeklappert haben. Unterdessen darf man bestimmte Rhythmen annehmen, die zu den Ausrufen der Klapperkinder passten. Denn diese klapperten nicht nur. H. Koll gibt an9, dass in Mausbach "im Takt" "gesungen" wurde:

  • Morjensjlock, Morjensjlock... (Morgenglocke)
    Enn de Morjenskirch, enn de Morjenskirch ... [zur Morgenmesse]
  • Meddach, Meddach ... [Mittagsglocke]
  • Ovendsjlock, Ovendsjlock ... (Abendglocke)
    Enn de Ovendskirch, enn de Ovendskirch ... [zur Andacht/Abendmesse]

Das Klappern könnte auf den Silben gelegen haben. Für den Kreis Erkelenz beschreibt A. Wrede 192210: "Mor–ges–klock (drei Schläge schnell)" und "O–vends–klock (drei Schläge schnell)".

Judasbeutel und Eierkorb

Nach der Auferstehungsmesse (vor der Reform 1956 am Vormittag des Karsamstags, nach H. Koll11 in Mausbach evtl. auch 1998 noch am Karsamstag) heischten die Klapperkinder den Lohn für ihre Bemühungen ein, Geld und Eier, und hielten dazu unter Rufen vor12:

Enn dr Judasbüll [in den Judasbeutel], enn dr Eierkorf [in den Eierkorb]

Die Sache mit den Eiern ist schnell erklärt: Das Ei wird seit jeher als Heil- und Stärkungsmittel angesehen und es ist ein Sinnbild der Fruchtbarkeit, weil es einen Lebenskeim in sich trägt. Ostern ist ein Frühlingsfest, ein Aufbruch zu neuer Fruchtbarkeit im Jahr und als Fest der Auferstehung Jesu Christi im übertragenen Sinn ein Fruchtbarkeitsfest, nämlich das der Fruchtbarkeit der Seele im Glauben. Also soll man zu Ostern ein Ei essen.

In den "Judasbeutel" wurde monetäre Anerkennung eingesammelt, mithin im Kaiserreich und früher Silber, wenn es denn mal etwas mehr, vielleicht eine halbe Mark oder drei Stüber und dergleichen, sein sollte. Das reflektiert den, in der Forschung mitunter in Frage gestellten, Verrat (Lk 6,16) des Judas Iskariot an Jesus (Judaskuss im Garten Getsemani), der dem Judas 30 Silberlinge eingetragen haben soll.

Mithin wird beim Klappern aus der Passionsgeschichte nacherzählt und dazu hat es im Ursprung des Brauchs im Rheinland eine deutlich antijüdische Interpretation gegeben.

Ursprung des Brauchs

Wann der Brauch in Mausbach entstanden ist, wissen wir nicht. Im Rheinland ist er vermutlich im 17. Jahrhundert aufgekommen. In Linz a.Rh. sollen ihn Kapuziner befördert haben.

Die Kapuziner gelten nach der Societas Jesu "Gesellschaft Jesu", kurz SJ oder Jesuiten, als wichtigster Orden der katholischen Reform. Jesuiten haben sich 1540 alsbald nach der Gründung der SJ in Köln niedergelassen. In der Leuwstraße in Vicht, in der unmittelbaren Nachbarschaft Mausbachs, erinnert die Statue des Brückenheiligen Johann Nepomuk aus dem Jahr 1738 an die SJ. Denn diese wirkte darauf hin, dass der althergebrachte Brückenheilige, der hl. Nikolaus und erster Schutzpatron von Mausbach, als Brückenheiliger durch Johann Nepomuk abgelöst wurde.

In Köln legte 1675 der Drucker, Verlagsbuchhändler und Kölner Ratsherr Joh. Anton Kinch (Kinckius, Kinchius, †1679) die 1626 erstmals erschienene "Christliche Zucht-Schul" von Nicolaus Cusanus SJ (1574-1636) auf. Cusanus – sowohl Namensvetter als auch Landsmann des bekannteren Kardinals – schrieb im 6. Teil, 14. Kapitel13:

9. Man leutet am Grünen Donnerstag und Karfreytag die Klocken nicht: damit wir uns erinnern der Trawrigkeit unserer l. [lieben] Frawen [Beweinung]/der Jünger Christi / und andächtigen Weiber. Und in dern Platz macht man ein Gethön mit den hölzernen Klappern: daß wir gedencken deß Getümmels und Wütens der Juden / zu Zeit deß Leydens Christi.

Das muss nun nicht mehr diskutiert werden: Natürlich herrschte in der Kirche nach dem Johannesevangelium und den Paulus-Briefen, auch in der protestantischen Kirche, und schon alleine aus Rechtfertigung des christlichen Glaubens gegenüber dem jüdischen, eine antijüdische Stimmung vor.

Das "Getümmel und Wüten der Juden" ist die Szene des Ecce homo "Siehe, der Mensch", diese in der Passion, wo Jesus im Spottmantel den Juden vorgeführt wird. In Gressenich – heute auch Nachbarschaft Mausbachs, historisch pastoral zuständig – werden die Juden dieser Szene Mitte des 15. Jahrhunderts als aggressiv und mit wutverzerrten Fratzen und ein Kind mitzerrend dargestellt, nämlich in dem seitdem, also auch heute noch in der dortigen Laurentiuskirche ausgestelltem Retabel.

Dass "hölzerne Schallkörper" besser passen zu "Stille, Trauer und Klage als die klingenden und schwingenden, metallenen Künder [Glocken und Schellen] von Freude und Rufer zu Gebet und Gesang"14, sollte auf die crotala im Kirchraum zutreffen. Für das Gerassel und Geschnarre und schon das Hämmern des Flipp-Flapps der Klapperkinder kann dies jedoch nicht einleuchten. Leiser als die Kirchenglocken, das wohl, doch bloß Lärmerzeuger, Krachmaschinen, die zumal in der Gruppe ein "ohrenbetäubendes Geklapper"15 erzeugten, auf die vielmehr der Charakter des "Gethöns" zutrifft. Es liegt daher nahe, dass, wenn mit dem Judasbeutel schon die Passionsgeschichte nacherzählt wird, die Klappern das "Getümmel und Wüten der Juden" nacherzählen und somit antijüdische Stimmungen schüren. Dergleichen kennen wir auch aus Redensarten wie "den Judas austreiben" oder "den Judas ausfegen", mithin Ungemach, ganz zu schweigen vom "Judasbrennen". Das Judasbrennen in effigie der nachmaligen Hinrichtung des bereits erhängten Judas bzw. der Säuberung dessen Seele durch das Feuer jeweils mittels Verbrennen einer Strohpuppe durch Kirche und Kirchenvolk ist im Rheinland erstmals im 18. Jahrhundert für die Zisterzienserinnenabtei Dalheim im Kreis Heinsberg belegt, dann für Köln und darüberhinaus für andere katholische Regionen in Deutschland.16

Zur Tradition in Mausbach

Es wird nicht unterstellt, dass bewusst antisemitische Züge tradiert worden wären. Selbstverständlich für die Klapperkinder schon mal gar nicht. Hatten diese der Erinnerung nach doch noch nicht das sogenannte Vernunftalter erreicht, als sie den Judasbeutel vorhielten. Das Aussenden der Kinder mag an das zitierte Bildnis des Ecce homo erinnern und nur diese waren noch nicht in die heilige Gemeinschaft aufgenommen, mithin auch nicht fähig eine Sünde zu begehen, wofür der Gebrauch der Vernunft ja erforderlich ist. Dass man sie deshalb vorgeschickt habe, könnte eine bösartige Behauptung sein. Insofern ist die oben erwähnte Reminiszenz an das Kommunikantengeld vielleicht nicht unangebracht.

Ansonsten wird man gar nicht so sehr über die Sache nachgedacht haben. Jedenfalls dann nicht, wenn galt, was H. Koll als Zeitzeuge feststellte17: "Was der Pastor sagte, war richtungweisend, und es gab nicht viele, die sich eine eigene Meinung machten und nur ganz wenige, die dies öffentlich bekundeten."

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